Liebe Leser,
würden Sie zusammen mit insgesamt 507 Mitreisenden in ein Schiff steigen, dessen Rettungsboote nur 80 Menschen aufnehmen können? Sicherlich nicht. Und daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Zahl der Reisenden um 30 Prozent gesenkt würde. Denn dann überstiegen die 355 verbleibenden Mitfahrer das Platzangebot in den Rettungsboten noch immer um mehr als das Vierfache.
Vielleicht haben Sie an den von mir verwendeten Zahlen erkannt, dass ich mit diesem Beispiel verdeutlichen will, wie sinnfrei die auf dem Diesel-Gipfel beschlossenen Software-Updates für Dieselmotoren sind. Denn mit ihnen wird der durchschnittlich gemessene Stickoxid-Ausstoß bei Fahrzeugen mit der Euro-6-Norm von aktuell 507 Milligramm pro Kilometer um 30 Prozent auf 355 mg/km verringert. Aber dieser Wert liegt eben immer noch meilenweit über den erlaubten 80 mg/km. Das stellt sich schon die Frage, inwieweit es sich überhaupt lohnt, über fünf Millionen Autos in die Werkstätten zu holen, nur damit der Grenzwert dann „nur“ noch um das Vierfache überschritten wird und nicht mehr um das Sechsfache.
Klarer Gewinner: Die Autokonzerne
Um den Stickoxid-Ausstoß wirklich radikal zu reduzieren bedarf es technischer Umrüstungen mit Abgasreinigungssystemen. Aber die hat die Autoindustrie aufgrund zu hoher Kosten und angeblich technischer Schwierigkeiten radikal abgelehnt. Dass sie damit durchkam, ist der eigentliche Skandal des Diesel-Gipfels. Aber so werden die Autokonzerne zum „vorläufigen“ Gewinner der Veranstaltung: Sie sparen sich mit den günstigen Software-Updates etliche Milliarden Euro. Eigentlich hätten die Aktienkurse von Daimler, BMW und Volkswagen daraufhin kräftig in die Höhe schnellen müssen. Aber statt eines Kursfeuerwerks, zogen die Kurse am Mittwoch lediglich um rund ein Prozent an und gaben diesen Gewinn dann auch recht zügig wieder ab.
Vorsicht vor den Dampfschiffen
Die Börsianer wissen: Die Diskussion um den Diesel ist noch längst nicht beendet. Sie hat vermutlich gerade erst so richtig begonnen. Und je länger und intensiver die Autohersteller versuchen, ihre Dieselantriebe zu verteidigen, umso langsamer kommen sie mit der Entwicklung neuer Technologien voran. Und beim Thema E-Mobilität ist Eile geboten, will man den Vorsprung von Tesla nicht noch größer werden lassen. Denn im sonnigen Kalifornien fährt Tesla-Chef Musk gerade die Produktion des Model 3 hoch, dem ersten Elektroauto für den Massenmarkt. Und Musk ist mittlerweile sicher, dass er im nächsten Jahr die angestrebten 10.000 Stück pro Woche erreichen kann, er habe mittlerweile „Null Bedenken“, wie er Analysten gestern mittteilte. Die Aktie von Tesla schnellte daraufhin um sieben Prozent nach oben.
Die Situation erinnert an die Zeiten, in denen Dampfschiffe die jahrhundertelang dominierenden Segelschiffe abzulösen begannen. Statt auch auf Dampfschiffe zu setzen, versuchten die Hersteller der Segelschiffe stattdessen, ihre Segel zu verbessern und zu optimieren. Das Ergebnis ist bekannt.
Viele Grüße und viel Erfolg,
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